Harry Timmermann

BUCHZEIT

Nicholas Salaman

Der Garten der Lüste

Ein Roman aus der Zeit der Wiedertäufer

Diogenes Verlag

Im Jahre 1934 äußerte Adolf Hitler bei einem Besuchder Stadt Münster den Wunsch, den Dom zu besichtigen. DerBischof der Stadt, Clemens August Graf von Galen, verweigerteihm jedoch den Zutritt. Er wäre wohl sofort verhaftet worden,hätte die Menschenmenge, die ihren Führer kurz zuvornoch enthusiastisch begrüßt hatte, nicht plötzlicheine große Unruhe gezeigt.

Der Bischof war ein erklärter Gegner der Kirchen- undRassenpolitik des nationalsozialistischen Regimes, aber er hatteauch noch andere, historische Gründe für diese mutigeWeigerung. Denn genau 400 Jahre vorher hatte Münster schoneinmal ein "Tausendjähriges Reich" und einen totalitärenStaat erlebt - die Schreckensherrschaft des Johann von Leidenund seiner Sekte, den sogenannten "Wiedertäufern".Diese hatten das Ende der Geschichte gepredigt für das Jahr1533 - tausendfünfhundert Jahre plus das Leben Christi -und bereiteten dann denen eine Hölle auf Erden, die sichihren Regeln für die Verwirklichung des irdischen Paradiesesnicht unterwerfen wollten.

Etwa eine Generation zuvor ist die Hölle gemalt worden- im etwa hundert Kilometer von Münster entfernten holländischenOrt 's-Hertogenbosch, von dem sich auch der Name des Malers herleitet:Hieronymus Bosch. Sein Triptychon "Der Garten der Lüste"trägt zuweilen auch die Bezeichnung "Das TausendjährigeReich". Links ist der Garten Eden dargestellt, in der Mitteirdisches Treiben, fast ausschließlich unter dem Aspektsexueller Begierde, rechts die Qualen der Hölle.

Der englische Autor Nicholas Salaman, hauptberuflich Leitereiner Werbeagentur und Marmeladenfabrikant, hat aus diesem Bildund jener Geschichte einen Roman gemacht.

Erfunden ist die Figur des Julius, eines Schülers vonBosch, der von ihm kurz vor seinem Tod beauftragt wird, den "Gartender Lüste" zu vollenden: es fehlt ein Stück ausder Hölle. Der Jüngling ist dieser großen Aufgabenicht gewachsen; er muß erst die entsprechenden vielfältigenund intensiven Erfahrungen sammeln. Er reist nach Italien, insFlorenz der frühen Renaissance, um sich dort künstlerischund philosophisch weiter zu bilden; er studiert die Farben desFleisches und nimmt an humanistischen Diskussionen teil, bevorer in den tristen deutschen Norden zurückkehrt. Er erlebtdie Liebe in ihren seligen und verfluchten, ihren verbotenen underlaubten Formen; vor allem aber gewinnt er Einblick und nimmtteil am gesellschaftlichen und religiösen Geschehen der Zeit,ohne deren Verständnis die Bilder seines Meisters Bosch kaumzu deuten wären.

Der Roman Salamans ist aber nicht in erster Linie der Bildungsromaneiner sich entwickelnden Jünglingsseele; der Autor hat sichGrößeres, Schwierigeres vorgenommen. Er will plausibelmachen, wie es einer totalitären religiösen Sekte gelingenkonnte, in einer ihr zunächst fremden Stadt fußzufassen,die bedingungslose Unterstützung der Bewohner zu finden,die ihr letztes Hab und Gut opfern oder zu opfern gezwungen werdenund sich ergeben wie in ein unausweichliches Schicksal, wie diereligiösen Fanatiker allmählich eine immer brutalereHerrschaft an sich reißen und so lange zu halten verstehen,bis sie selbst gewaltsam vernichtet und vertrieben werden.

Das Triptychon von Bosch läßt sich so interpretieren,daß alle drei Teile denselben Garten in verschiedenen Zuständendarstellen. Das Paradies trägt den Keim des Verfalls, denTod, schon in sich. Die üppige Sinnlichkeit des Mittelbildes,die süße Anarchie dieses Zustands, in dem es keineGrenzen zu geben scheint und keine Regeln, wo sich alles mit allemfruchtbar paart, verwandelt sich von selbst in die Hölle,wo die saftig blühenden Früchte verrottet, die reichgefülltenEier zu leeren, bröckligen Schalen und das belebende Wasserdes Brunnens zu Eis geworden sind. Für das historische Romangeschehenheißt das: als die Bewohner der Stadt an die enthusiastischeProphetie eines charismatischen Führers zu glauben anfangen,daß nun die Wonnen des Paradieses unmittelbar bevorstehen,beginnt für sie der reale Höllensturz.

Psychologisch eindrucksvoll wird die Darstellung Salamans dort,wo er zeigt, was die einzelnen sich jeweils unter dem "irdischenParadies" vorstellen, die Erfüllung ihrer heimlichen,unterdrückten Wünsche nämlich und nicht etwa dasgrößtmögliche Gemeinwohl, und wie sie schließlichgenau darin gefangen werden. Sinnlicher, vor allem sexueller Genußwird als ein listiges Mittel entlarvt, mit dem die Mächtigenihre Opfer knebeln und erpressen. Auf der anderen Seite stehtder mystische Wahn der Mächtigen, sie seien in ihrer ErhabenheitGott ähnlicher als den Menschen, ja ihm gleich, und niemandemRechenschaft schuldig.

Salamans Roman ist also durchaus mehr als ein Sittengemälde"aus der Zeit der Wiedertäufer". Er übersetztdie phantastische Bilderwelt des Hieronymus Bosch in das realeGeschehen seiner Zeit, ohne ihre Vieldeutigkeit allzusehr zu reduzieren.

Als Gegenwelt zum triebbestimmten Verfallsgeschehen erscheint,und das erstaunt bei einem Roman der Kritik an religiösemWahn und totalitären Herrschaftsformen heute vielleicht wenigerals noch vor wenigen Jahren, nicht etwa aufgeklärte, rationaleVernunft, sondern ein anderer Glaube, eine andere Form der Irrationalität:die Liebe zwischen zwei Menschen. In der Bilderwelt Boschs entsprichtihr vielleicht die seltsam zärtliche, anmutige Gestaltungnoch der sündigsten nackten Menschenminiaturen - im Gegensatzzu den dämonischen Vermischungen von menschlichen mit tierischen,pflanzlichen und mineralogischen Formen in anderen Gestalten.Der Maler Julius kann die Hölle seines Meisters Bosch erstvollenden, als er diese humane Liebe erfahren hat - eine gleichwohlphantastische, rauschhafte Erotik, die das liebende Paar in denGarten der Lüste entführt und es wieder entläßt,ohne ihre Liebe der Zerstörung durch die Realität preiszugeben.Hier teilt der Roman, der schrecklich genug endet, den Pessimismusdes Bildes nicht.

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