DER TAGESSPIEGEL Donnerstag 25. Mai 1995

Für viele ist Klezmer schon Party-Clou

Berlin. Zunächst war es nur als Zeitvertreib gedacht. Harry Timmermann, früher Dozent für Germanistik und Spezialist für Schöngeister wie Matthias Claudius, fand endlich eine ideale Begleiterin für seine dunkelsten Stunden als Nachtwächter: Er holte seine Klarinette aus dem Schlummer, den er seit jazzigen Jugendjahren kaum mehr gestört hatte. Ein paar Fingerübungen, Triller und Triolen können schließlich nicht schaden, wenn sich partout kein Einbrecher zeigen will.Aus beiläufigem Spiel wurde allmählich Ernst. Die zauberhaften Geister der Musik, herbeigerufen zur Dienstzeit, ließen sich gar nicht wieder beruhigen. Auch tagsüber griff Timmermann immer öfter zu seinem Instrument, beflügelt durch die virtuosen und vorbildlich swingenden Klarinettenklänge des Klezmer-Königs Giora Feidman. Das vorläufige Ende vom Lied: Kaum zwei Jahre nach der Gründung seines Quartetts Harry's Freilach gilt der 42jährige Berliner als einer der profiliertesten Klezmer-Klarinettisten hierzulande. Gastspiel-Einladungen kommen inzwischen aus allen Richtungen und Anlässen, ob von der Jüdischen Gemeinde in Dresden oder wie kürzlich zur Feier der 30jährigen diplomatischen Beziehungen zwischen Bonn und Tel Aviv. Die kulturhistorischen Hintergründe der uralten Klezmer-Klänge müssen gar nicht immer mit im Spiel sein. "Vor kurzem wurden wir zur Eröffnung eines Windkraftwerks nach Angermünde bestellt", erzählt Timmermann. "Die Veranstalter wollten unbedingt Musik, die mit viel Luft gemacht wird." Da kam das Berliner Quartett gerade recht, bei dem neben Timmermann derzeit vor allem der russische Bajan-Akkordeonist Alexandr Danko eine melodisch tragende Rolle spielt, unterstützt von Kontrabaß und Percussion.

Allzu viele Gastspielreisen sind für die internationale Gruppe, die entsprechend ihrem jiddisch inspirierten Namen ("freylekh" = fröhlich) eher die heitere als die melancholische Seite des Klezmer-Kosmos anklingen läßt, terminlich kaum drin. Schon Berlin sichert den überwiegend nichtjüdischen Musikern Vollbeschäftigung: So spielt die Gruppe zur ersten Ausstellungseröffnung im neuen Jüdischen Museum ebenso auf wie bei Straßenfesten oder in der Clubszene. Dabei zieht Harry's Freilach dann kaum je wieder ohne Anschlußaufträge von dann - insbesondere die Veranstalter von Privatfeten erblicken in der fröhlichen Viererbande immer öfter einen Partyclou. "Den Rekord halten bisher die fünfzigjährigen Geburtstage", berichtet Timmermann. "Da hatten wir mindestens vierzig in zwei Jahren!"

Klezmer ist aber auch die Traditionsmusik des osteuropäischen Judentums, das fast vollständig dem Holocaust zum Opfer fiel. So bleiben gerade bei Konzerten in einem jüdisch geprägten Ambiente Irritationen nicht aus, wenn sich die Identität der Klezmorim manchem als Überraschung offenbart. "Eine jüdische Dame sagte mir kürzlich, daß sie da erstmal etwas in sich überwinden und kräftig bekämpfen mußte", erzählt Timmermann. "Diese alte jüdische Musik, schon ihrer Vorfahren -und jetzt gespielt ausgerechnet von Deutschen, begleitet von einem Russen! Später bedankte sie sich dann, weil sie den Abend als eine ungewöhnlich wertvolle Erfahrung empfand."

Und doch ist sich Timmermann über die besondere Note seines Band-Projekts im klaren. "Im Grunde ist das eine ganz utopische Geschichte, als Deutscher sowas zu machen..."

gez. Jochen Metzner

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